Zwei Olympiasiege als Startschuss

Wasserspringen 30.04.2014

Die Erfolge von Ingrid Gulbin waren der Auslöser für den Bau der vor 50 Jahren eröffneten Wassersprunghalle. Trainiert hat sie darin aber fast nie.

Ingrid Gulbin ist für einen Kurzbesuch zurück in ihrer Halle. Die wurde vor 50 Jahren eröffnet (Foto links). Trainiert hat die dreimalige Olympiasiegerin oft außerhalb, wie hier 1960 in Leipzig (Foto rechts). Fotos: Ronald Bonß, Stadtverwaltung Dresden, Thomas Türpe

 

Ingrid Gulbin ist für einen Kurzbesuch zurück in ihrer Halle.

 

 

 

 

 

 

Die wurde vor 50 Jahren eröffnet.

 

 

 

 

 

 

Trainiert hat die dreimalige Olympiasiegerin oft außerhalb, wie hier 1960 in Leipzig.

 

 

Fotos: Ronald Bonß, Stadtverwaltung Dresden, Thomas Türpe

 

Als sie in ihre Halle kommt, wird ihr gleich ein Brief überreicht. „Fanpost“, begrüßt sie Frank Taubert, einst ein erfolgreicher Wasserspringer, der jetzt als Bundestrainer den Nachwuchs betreut. „Man hat dich eben nicht vergessen.“ Ingrid Gulbin lächelt – fast ein wenig verlegen.

Oops, an error occurred! Code: 2024041808590273c7966c

Im Mittelpunkt stand sie nie gern, Auszeichnungen, Ehrungen, all der öffentliche Rummel war ihr immer unangenehm. Daran hat sich auch mit 70 nichts geändert. Doch er ließ sich auch nicht vermeiden, wenn man dreimal Olympiasiegerin wird, dreimal DDR-Sportlerin des Jahres und 1960 sogar gesamtdeutsche. „Sie hat in Dresden einen regelrechten Boom ausgelöst“, erinnert sich Taubert. Als er als kleiner Junge zum Aufnahmetest für das Wasserspringen gehen will, muss er sich an eine Hunderte Meter lange Schlange anstellen. „Das war eine Begeisterung damals – das kann man sich nicht vorstellen.“

Mit gerade einmal 17 gewinnt Ingrid Krämer, wie sie damals noch hieß, bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom Gold vom Dreimeter-Brett sowie vom Zehnmeter-Turm und beendet eine lange Siegesserie der US-Amerikanerinnen. Allein das war schon eine Sensation. Noch unglaublicher wird die Erfolgsgeschichte, wenn sie erzählt, unter welchen Bedingungen sie damals trainierte. In der Schwimmhalle der Nationalen Volksarmee (NVA) in der Marienallee stand eine Sprunganlage, aber die endete bei fünf Metern, einen Zehn-Meter-Turm gab es nicht. „Außerdem war es da im Winter immer schrecklich kalt drin“, sagt sie. Um überhaupt ihre Turmsprünge üben zu können, wich sie im Sommer ins Arnhold-Bad aus. „Teilweise bei laufendem Badebetrieb, das war unglaublich gefährlich.“ Oder sie fuhr nach Schwarzheide. Dort wurde das Abwasser vom benachbarten Kraftwerk genutzt, auch der Kohlestaub trübte das Becken. „Wir waren immer total dreckig“, erinnert sie sich und verzieht dabei angewidert das Gesicht.

Die Partei nutzte ihre Popularität, hängte am Straßburger Platz ein riesiges Plakat auf: „Mit Ingrid Krämers Siegeswillen wollen wir den Plan erfüllen.“ Zum Plan gehörte auch der Bau einer Sprunghalle am Freiberger Platz. Die wurde am 30. April 1964 eingeweiht. Taubert war als achtjähriger Junge dabei, kann sich aber kaum noch erinnern. Auch die Unterlagen aus dieser Zeit verraten nicht viel – abgesehen von den Kosten: 2,5 Millionen DDR-Mark.

Es war die erste eigenständige Wassersprunghalle in Europa. Und eine der modernsten. Die sowjetische Nationalmannschaft trainierte hier und staunte über die Ausstattung. Zu der gehörte ein Einmeter-Brett und eine Schaumstoffgrube hinter der Halle. „Um sie vor Nässe zu schützen, gab es eine auf Schienen gelagerte Abdeckung“, erzählt Taubert. „Wenn wir die nach der Winterpause das erste Mal geöffnet haben, kamen uns regelmäßig Katzen mit ihren Jungen entgegen.“

Ingrid Krämer fehlte bei der Eröffnung vor 50 Jahren. Um sich besser auf die Olympischen Spiele in Tokio vorbereiten zu können, zog sie nach Rostock, die dortige Neptunhalle wurde schon Ende der 1950er-Jahre gebaut. Ab 1963 startete die gebürtige Dresdnerin auch nicht mehr für den SC Einheit, sondern für Empor Rostock, bekam eine Wohnung an der Ostsee. „Das waren alles Entscheidungen, die nicht ich getroffen hatte“, sagt sie, und es klingt fast wie eine Entschuldigung.

In Tokio holte sie erneut Gold vom Brett und Silber vom Turm, ohne vorher in der neuen Dresdner Halle trainiert zu haben. Erst Ende 1964 kam sie wieder in ihre Heimat und schaute sich im Neubau um. „Ich war begeistert, es war toll“, erinnert sie sich. Doch auch danach blieb sie in Rostock, beendete nach einem fünften Platz bei den Spielen 1968 ihre Karriere.

Die Halle in Dresden wird aber immer mit ihrem Namen verbunden bleiben. Eine Ehrengalerie im Eingangsbereich beginnt mit ihrem Foto und ihren Erfolgen. Ein Bronzedenkmal, das sie in Lebensgröße zeigt, steht auf dem Dach. Als Trainerin arbeitete sie zwischen 1977 und 1990 hier, entdeckte Jan Hempel, der später Olympiasilber gewann. Nach der Wende wurde sie entlassen, von ehemals 21 fest angestellten Wassersprung-Trainern blieben drei übrig.

Ihren Sport verfolgt sie jetzt ausschließlich am Fernseher, in ihre Halle kommt sie nur noch sporadisch bei den alljährlichen Galas im Advent. „Ich erkenne sie kaum noch wieder, es ist fast alles neu“, sagt sie. Im Gegensatz zur benachbarten, 1969 eröffneten Schwimmhalle, die seitdem auf eine grundlegende Sanierung wartet, wurde die Sprunghalle nach der Flut 2002 schrittweise umgebaut und erweitert. „Wenn ich das sehe, wäre ich gerne noch einmal jung“, meint Gulbin, die 2011 in die „Hall of Fame“ des deutschen Sports aufgenommen wurde.

 

Angst bei ihren Nachfolgerinnen

Wobei, mit den heutigen Sprüngen, den vielen Drehungen, den hohen Schwierigkeitsgraden, hat sie so ihre Probleme. „Wenn ich das sehe, bekomme ich Angst. Der Kopf fliegt da Zentimeter am Brett vorbei. Das war zu meiner Zeit unvorstellbar.“ Erfreut hat sie registriert, dass die Talente inzwischen aus Halle/Saale und sogar aus Aachen kommen, um in Dresden zu trainieren. Taubert erklärt das mit den „nahezu optimalen Bedingungen“ am Bundesstützpunkt. Den Grundstein dafür hat Gulbin mit ihren Erfolgen vor 50 Jahren gelegt.

 

Als sie wieder gehen will, wird sie noch einmal aufgehalten. Die Mädchen und Jungen der jüngsten Gruppe haben von ihrer Trainerin erfahren, wer da zu Besuch ist. Und wünschen sich nun Autogramme auf ihre T-Shirts. Ingrid Gulbin schreibt immer wieder ihren Namen, steckt die Fanpost ein und geht vorbei am Foto in der Ehrengalerie zum Ausgang ihrer Halle.

 

 

 

 

Denni Klein, SZ vom 30.04.2014

 

 

 

zurück zur Übersicht